Als Anwalt erhalte ich manchmal die Gelegenheit, ein Seminar durchzuführen bzw. einen Vortrag zu Fachthemen zu halten.
Am liebsten sind mir Veranstaltungen von bis zu 3 Zeitstunden. Dann bereite ich etwas zu meinem Fachgebiet vor - Arbeitsrecht - und zeige eine Powerpoint-Präsentation, zu der dann Fragen gestellt werden und sich eine mitunter lebhafte Diskussion entwickelt.
Tagesseminare mache ich in der Regel nicht, dennoch habe ich schon bei einem Unternehmen, das als Einkaufsgesellschaft für eine Mittelstandsbranche fungiert drei Tagesseminare gehalten.
Da gehe ich genau so vor, wie bei meinen kleinen Gesprächsrunden - eine Powerpoint-begleitete Diskussion mit Schulungsmaterial.
Das ging zwei mal ganz gut, beim dritten Mal letzte Woche ergab sich eine alptraumhafte Situation, die selbst die geübtesten Trainer aus den Socken hauen dürfte.
Ich bin kein ausgebildeter Trainer. Ich mache das eben nebenher, als "Abfallprodukt" meiner Tätigkeit. Passt halt, irgendwie...
Im August 2007 war mein erstes Mal dort. Anstrengend, aber erfolgreich. Thema: "Arbeitsvertragsgestaltung"
Im Mai hielt ich in jenem Unternehmen mein zweites Seminar, allerdings war dies wiederum ein Debüt zu einem besonderen Thema, nämlich "Variable Vergütungssysteme".
Preis pP: 190,--€ netto incl. drei Speisen in der Kantine. Ein Discountpreis verglichen mit anderen Anbietern am Markt, die locker das vier-bis fünffache nehmen.
Die Teilnehmer: 10 -12 Personalverantwortiche, GF und andere Entscheider aus ganz Deutschland aus den Branchenunternehmen.
Im Vorfeld der Veranstaltung habe ich dem Auftraggeber mitgeteilt, dass mir die Darstellung von Grundlagen und einigen Fällen möglich ist, keinesfalls aber Berechnungen, die man mit nach Hause nimmt, um diese dort gleich umzusetzen. Ich gehe das eben aus der organisatorischen, juristischen Perspektive an, nicht aus der kaufmännischen. Das habe ich im Vorfeld geklärt, war also dort bekannt. So dachte ich jedenfalls.
Die Veranstaltung lief mittelgut und war verbesserungsfähig - Debüt halt - aber offenbar gut genug, um mich noch einmal mit dem selben Inhalt zu einer weiteren Veranstaltung mit diesem Inhalt einzuladen.
Der Termin: Erste Septemberwoche.
Angesichts der Erfahrungen aus der Debütveranstaltung zur "Variablen Vergütung" habe ich einzelne Änderungen am Inhalt vorgenommen, die Gesamtstruktur habe ich aber nicht wesentlich geändert. Zum Beispiel hatte ich im Mai den Aspekt der Führung vertieft - meines Erachtens kann variable Vergütung keinen Selbstzweck verfolgen, sie dient der Motivation der Beschäftigten und sollte nur eingeführt werden, wenn eine enstprechende motivierende Führungskultur herrscht. Wer einen autoritären Führungsstil pflegt oder
zulässt, kann es gleich sein lassen. Den Komplex habe ich nahezu ersatzlos gestrichen.
Dafür habe ich einen neuen - erfolgreichen -Trend der Unternehmensorganisation präsentiert, bei dem Incentive-Systeme anders und womöglich intelligenter eingesetzt werden (Beyond Budgeting). Das Beyond Budgeting hatte ich auch schon im Mai zum Thema gemacht, wenn auch nicht so vertieft,
Im August ergab sich im Vorfeld zu der nun anstehenden Veranstaltung eine weit stärkere Nachfrage als noch im Mai. Die Teilnehmerzahl lag bei 14, groß genug jedenfalls. Der Auftraggeber ließ mich gewähren und schien mit der ersten Veranstaltung halbwegs zufrieden zu sein.
Ich ging davon aus, die Inhalte waren akzeptiert. Jedenfalls kamen aus der Orga-Abteilung Personalentwicklung keine Wünsche/Anregungen und auch sonst kein Feedback zum letzten Mal...
Dabei befanden sich keine Charts, berechnungen oder Sonstiges in der Präsentation. Vielleicht hätten das die Kaufleute lieber gesehen, aber dann hätte mein Auftraggeber entsprechend darauf hinweisen müssen, der kennt das Klientel besser als ich.
Einen Tag zuvor rief Herr S. an, der Leiter der Pers-entwicklung. Mit dem hatte ich bislang nichts zu tun. Das Gespräch verlief sehr freundlich, er betonte, dass dort nun ganz "anspruchsvolle" Teilnehmer erscheinen würden und dass das doch zum Premium-Seminar werden könnte. Wir tauschten Einzelheiten zum Inhalt aus und es schien, als könnte die Veranstaltung erfolgreich werden. Man konnte meinen, wir lagen auf einer Wellenlänge, wobei ich davon ausging, dass er mein Vorgehen vom letzten Mal kannte.
Wie gesagt: Auch damals befanden sich keinerlei Charts oder dergleichen in den Unterlagen. Bei mir drehte es sich um Grundsatzfragen.
Die überarbeitete Fassung schickte ich ihm nachmittags. Sie unterschied sich nur partiell von der anderen Fassung, das hatte ich bereits angekündigt. Die Struktur, der Aufbau blieb...
Die Veranstaltung wurde allerdings ein grauenhafter GAU und könnte ein großes Sonderkapitel in einem Lehrbuch für Trainer unter dem Titel "Unlösbare Krisen" einnehmen.... :-(
Herr S. nahm mich an dem Morgen in Empfang, er hatte zuvor angekündigt, dabei sein zu wollen.
Das war ja soweit o.k.
Die Teilnehmer erschienen einer nach dem anderen und man traf sich erst einmal in der Kantine zum "Kennenlern-Kaffeetrinken".
Dann begann das Seminar. Nach Vorstellungsrunde und Einstieg mittels Fragen an die Erwartungen an ein variables Vergütungssystem begann ich mit meiner - zugegeben dicken und "bleihaltigen" - PPt-Präsentation.
Aber das schien ja, wie beim letzten Mal, abgesegnet zu sein.
Es schien auch kein Problem zu sein, als "Fachfremder" (RA mit BWL-Grundkenntnissen, kein Personaler und schon gar kein hauptberuflicher Trainer) dort ein Thema mit Blick über den Tellerrand vorzustellen.... Fragen zu meinen Referenzen, Erfahrungen als Trainer in dem Bereich hatte niemand gestellt. Es gab keinerlei Check zuvor!
Natürlich kann man sich darüber streiten, ob eine Powerpoint-Folienschlacht für ein Tagesseminar toll ist.
Nein, ist es sicher nicht. Aber es geht. Mittelmaß, akzeptabel, aber nicht grundfalsch...
Ich erzählte - nach einem Unternehmensberaterwitz zu Beginn - etwas zum Ablauf der Veranstaltung, zu Begrifflichkeiten, Wirtschaftsdaten und Anderem, unterschied zwischen leistungs- und erfolgsbezogener Vergütung, erläuterte Möglichkeiten für Führungskräfte...
Zwischenzeitlich verließ Herr S., der mich durch die Veranstaltung begleiten wollte, den Raum und ich war allein mit den Teilnehmern.
Ich stellte Fragen in die Runde, die kaum zu Diskussionen führten. Es lief nicht wirklich gut. Warum nach Leistung prämieren? Was bedeutet im Einzelhandel denn Leistung? Umsatz? Warum? Quäl....
Beim ersten Mal im Mai hatte ich nicht so eine schweigende Phalanx vor mir sitzen.
Irgendwann begann eine gewisse Unruhe. Einzelne fragten nach praktischen Beispielen. Ich verwies höflich darauf, dass diese auf jeden Fall noch folgen würde, aber eben nachmittags. (Ganz zu Beginn hatte ich ja wie gesagt den Ablauf vorgestellt, es war also allen klar, dass Fallbeispiele und die Klärung rechtlicher Fragen noch folgen werden).
Ich machte also weiter im Programm - nach meiner Erfahrung sind nach so einer Äußerung die Gemüter beruhigt.
Die Gemüter beruhigten sich aber nicht, zumal ein selbsternannter "Revolutionsführer" die Stimme erhob und in den Raum sprach "Ich bin sicher nicht der einzige hier, so haben wir uns das nicht vorgestellt, alles viel zu theoretisch...!". Bitte schön, wie geht man denn mit so etwas um? Die Stimmung kippte allmählich und sehr bedrohlich...
Ich bat ein weiteres Mal um Geduld, war aber schon etwas angefressen, zugegeben. Wie man hier sagt: Fast sprang mir der Draht aus der Mütze...
Ich hatte auch ehrlich gesagt wenig Lust, mein Programm für die paar Leute mal eben umzustellen, das hieße ja, dass ich Themen auf Zuruf mache. Geht irgendwie gar nicht. Diskussionen und Fragen - kein Problem. Exkurse, kein Problem. Aber den Weg im Wesentlichen bestimme ich, sonst werde ich zum Kasper gemacht. Oder zum Zirkuspferd, das Kunststücke auf Peitschenknall vorführt.
Irgendwann stand ein Herr auf, Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens, und verließ die Veranstaltung mit den Worten "Das reicht mir jetzt". Der hatte quasi nach fast jeder Folie genervt gefragt, wann es denn mit der Praxis beginnt.
Das wirkte nicht gerade deeskalierend, ganz im Gegenteil.
Hat er als Kind beim Märchenvorlesen auch nicht abwarten können, bis Hänsel und Gretel die Hexe in den Ofen stoßen??
Dabei war nicht einmal eine Stunde vergangen! Es war schon jetzt grauenvoll. Im Mai war das nicht so gelaufen. Und den Teil des Seminars hatte ich seinerzeit unbeanstandet abgeleistet.
In dem Moment erschien Herr S. wieder im Raum. Eigentlich sollte ich mich über die erhoffte "Rettung" freuen. Was aber tat Herr S. - nachdem manche ihren Unmut äußerten, über die vielen Theorien? Er stellte sich nicht etwa hinter mich und versuchte, zu vermitteln.
Er setzte sich auf seinen alten Platz, sah mich vorwurfsvoll an und fragte:
"Warum tun Sie das denn nicht...?!"
Zack! Treffer. Mit der Äußerung zog er mir den Boden unter den Füßen weg.
Danach war eigentlich alles vorbei. Meine Rolle war nicht mehr die eines Fachmanns, der den Leuten etwas beibringt, sie war die eines Prüflings, der sich durch die Veranstaltung hetzen ließ.
Die größten Krakeeler und Unzufriedenen konnten sich durch Herrn S. bestätigt fühlen. Meine Autorität kraft Fachwissens war dahin, das Seminar war mit einem mal fremdgesteuert, zumal Herr S. versuchte, an meinen Themen vorbei Fragen zu stellen und eine Diskussion in Gang zu bringen. Das hat vielleicht die von ihm gewünschte Diskussion angeschoben, aber leider an meinem "Plot" vorbei...
In der Mittagspause, als alle TN den Raum verlassen hatte, äußerte Herr S. mir gegenüber seine tiefste Enttäuschung, ich könne doch keine Vorlesung halten, was das denn sollte, die Präsentation enthalte zuviel Text, nicht mal ein paar Charts, das sei ganz furchtbar, so gehe das nicht, wenn die sich jetzt beim Vorstand beschweren.Lassen Sie nachher bloß die Folien weg (was mir angesichts der Fülle und Komplexität nicht möglich war)...!! Lassen Sie uns jetzt was essen gehen...
Ich ließ diese Tirade über mich ergehen und musste erst einmal sortieren, was jetzt zu tun war...
Hatte ich schon erwähnt, dass wir im Vorfeld nie über Inhalte, Gestaltung und Erwartungen bei so einem Thema gesprochen hatten? Was bitte wurde von mir erwartet??
Der Rest des Tages war erledigt. Ich war demotiviert und geschwächt. Klare Gedanken bekam ich nicht mehr hin, es ging ums nackte Überleben. Was bitte sollte jetzt noch an Wissen vermittelt werden, wie sollte noch Interesse geweckt werden, wenn allen klar war, dass der Auftraggeber nicht hinter mir stand. Er ließ es mich auch spüren - die anderen auch - dass er nichts davon hielt, was ich da tat.
Was hätte Herr S. tun müssen?
Er hätte zwischen mir und den TN vermitteln müssen. Er hätte sich, wie sich das gehört, wie folgt äußern müssen:
"Ich kann ja verstehen, dass manche von Ihnen nur Theorie nicht mögen. Da müssen wir jetzt aber erst einmal durch. Ich kenne den Vortrag, wir hatten das so besprochen, wir bekommen am Ende noch sehr interessante Fälle präsentiert. Außerdem wird Herr M. einen ganz neuen spannenden Trend beschreiben, lassen Sie ihn mal machen....".
Statt dessen aber erfolgte ein Dolchstoß in den Rücken, ein klares Distanzieren von meiner Leistung. Das ist, als würde der Rektor einer Schule einen Lehrer vor der versammelten Klasse zurecht weisen. Als würde der Abteilungsleiter den Teamleiter vor dem Team maßregeln.
Unlösbar. Katastrophal. Eigentlich hätte ich einpacken können....
Wie man sich da fühlen muss, kann sich der eine oder die andere sicher vorstellen. Alles, was ich noch brachte, konnte nur falsch sein. Lerneffekt gleich Null....
Der Knaller am Ende: Normalerweise lässt man die Teilnehmer am Ende Feedback-Bögen ausfüllen. Darauf verzichtete Herr S. süffisant lächelnd.... "Nee, das muss ich nicht haben..."
Self fulfilling prophecy: Erst ruiniert er mein Seminar durch Infragestellen und Distanzieren, dann lässt er keine Feedback-Zettel ausfüllen, weil er schlechte Kritiken fürchtet.
Auf meine Frage nach einem Feedback einige Tage später reagiert er ausgesprochen aggressiv: Tiefpunkt seit 30 Jahren... Blablabla... Kritik des Vorstands ...blablabla.
Außerdem setzt dieser Herr S. diese Denke fort und verzichtet darauf, den Kursbeitrag der TN abzufordern. Poplige 190,--€ p.P.netto ! Damit bestätigt er noch einmal sein klares Distanzieren von der Veranstaltung und lässt mich im Regen stehen...
Ein Einfallstor für all die, die meinen, jetzt noch Schadensersatz (Hotelkosten, Reisekosten, Verdienstausfall pp) fordern zu können....
Mein Tipp an Herr S.: Die eigenen Fehler eingestehen - keine inhaltliche Abstimmung, verhalten bei der Veranstaltung - die Sache als "kann-mal-passieren" verbuchen und das Seminar ohne Staatsaffäre mit den Teilnehmern abrechnen. Wer sich weigert, bekommt Mahnungen...
Und dann zur Tagesordnung übergehen...
Das wollte ich nur einmal loswerden.
M.Kupfer